Jasmin Pang lebt zur Zeit in Schanghai / China |
Jetzt bin ich schon zwei Monate hier in Schanghai, wo ich ein Jahr an der East China Normal University chinesisch studieren werde. Den ersten Kulturschock habe ich hinter mir und langsam aber sicher hat der Alltag begonnen. Dennoch erlebe ich jeden Tag wieder neue Sachen, die ich glaube ich nur hier erleben kann. Schanghai ist eine riesige Stadt mit ca. 21 Millionen Einwohnern. Sie entwickelt sich rasend schnell, und überall wird gebaut. Wenn man über die Strasse geht, muss man nicht nur in alle vier Himmelsrichtungen schauen, sondern manchmal auch nach oben, um sicher zu gehen, dass nicht gerade etwas von den Konstruktionsbauten herunterfällt. Das Überqueren der Strasse will hier geübt sein, denn der Verkehr ist schon ziemlich krass hier; überall Autos, Velos, Busse, Taxis, Dreiräder und Fussgänger. Und das Schlimme ist, dass sich niemand an die Verkehrsregeln hält. Man hupt oder schreit einfach mal los und fährt trotzdem weiter, auch wenn die Ampel gerade auf rot ist. Auf grossen Kreuzungen hat es darum an jeder Ecke einen Polizisten, der oft vergeblich versucht, die Fussgänger und Fahrzeuge, welche bei rot die Strasse überqueren zurückzupfeifen. Um die wirklich prekäre Verkehrssituation zu verbessern, hat die Polizei eine neue Kampagne lanciert. Personen, welche einen Verkehrsregelbruch fotografisch festhalten und daraufhin aufgrund des Fotos der Übeltäter ausfindig gemacht werden kann, erhalten eine Belohnung. Diese Kampagne ist auf reges Interesse gestossen, und viele Hobbyfotografen versuchen sich so ein bisschen Sackgeld zu verdienen. Obwohl auch ich sehr viel fotografiere, gehöre ich (noch) nicht zu ihnen. Für ein Entgeld müssen Verkehrsregelbrüche in Aktion (also nicht falsch parkierte Autos etc.) aufgenommen werden, und wenn eine offizielle Kamera das Delikt bereits festgehalten hat, wird keine Belohnung ausgezahlt. Bin gespannt ob diese Kampagne etwas zur Verkehrsberuhigung beiträgt. Am Anfang hatte ich immer unglaublich lange, um eine Strasse ohne Verkehrsampel zu überqueren. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, dass man einfach mal loslaufen muss und auf keinen Fall anhalten darf. |
In Schanghai fahren unglaublich viele Leute Velo. Natürlich habe auch ich mir eines gekauft und kurve täglich damit herum. Insgesamt benutze ich drei Schlösser, um Diebe abzuschrecken. Bis jetzt hat es geklappt. Velofahren ist einiges angenehmer als das Benutzen der öffentlichen Verkehrsmittel, besonders während den Stosszeiten. Am liebsten benutze ich die U-Bahn, obwohl man da am besten eine Rugby-Ausrüstung anzieht. Beim Aussteigen muss man sich nämlich mit beiden Ellbogen gegen hereinstürmende Fahrgäste wehren. Die Leute zuerst aus der U-Bahn rauszulassen, käme den Chinesen nicht in den Sinn. Jeder möchte wenn möglich einen Sitzplatz ergreifen. Die U-Bahn ist sehr modern, und man kommt sehr schnell voran. In den Stosszeiten hat man in den U-Bahngängen oft das Gefühl, man sei ein Herdentier. Man wird einfach so mit dem Menschenstrom mitgezogen. China ist definitiv nichts für Klaustrophobiker. Im Bus, in der U-Bahn, im Zug, an öffentlichen Anlässen, überall wimmelt es nur so von Leuten. Man wird geschubst, gestossen, angeschrieen etc. und der Lärmpegel ist dementsprechend hoch. Etwas, an das ich mich noch nicht gewöhnt habe und wahrscheinlich auch nie gewöhnen werde, ist das ewige Rumspucken. Egal wo man sich gerade befindet, es wird überall gespuckt. Im Bus, auf der Strasse, im Warteraum etc. Manchmal muss man sich richtig vorsehen, damit man nicht gerade angespuckt wird. Auch der Abfall ist ein grosses Problem hier. Die Leute werfen Verpackungen etc. oft einfach auf den Boden. Am Abend sieht es auf gewissen Strassen aus wie auf einem Schlachtfeld. Ein Putzteam räumt den Abfall in der Nacht dann Weg. |
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Etwas, was in China sehr wichtig ist, darf natürlich nicht vergessen werden: das Essen. Man kann hier überall, zu jeder Zeit und alles essen. Alles, heisst wirklich alles. Von Kuhmagen, über Kröten zu Entenmagen etc. Zum Glück bin ich Vegetarier, dann kann ich mich wenigstens leichter vor dem Probieren gewisser Speisen drücken. Am Anfang, als ich die chinesischen Zeichen noch nicht so im Griff hatte, war es allerdings nicht ganz einfach sich vegetarisch zu ernähren. Viele Gerichte haben Fleisch drin und auch wenn man der Bedienung ausdrücklich sagt, dass man kein Fleisch will, hat es oft kleine Hackfleischstücke oder Leber im Gericht. Das ist hier anscheinend nicht richtiges Fleisch. Mittlerweile kann ich jedoch schon vieles auf der Menukarte lesen und muss nicht mehr auf gut Glück einfach etwas auf der Speisekarte auswählen, dass dann evtl. doch Fleisch enthält. Bis jetzt ist mir das tägliche Reisessen nicht verleidet. Apropos Reis muss noch angemerkt werden, dass die Chinesen (zumindest hier in Schanghai) oft kein Reis zum Essen bestellen. Reis wird höchstens nachdem die Hauptgerichte fertig gegessen wurden, serviert. Zuerst wird alles Wertvolle gegessen. Reis ist sozusagen nur noch der Magenfüller, wenn das Fleisch und Gemüse nicht ausgereicht haben. Mit meinem Chinesisch geht es von Tag zu Tag besser. Was mich allerdings ein wenig deprimiert ist, dass ich meinen chinesischen Namen immer noch nicht richtig aussprechen kann. Jedes Mal muss ich ihn mindestens drei Mal wiederholen und oft sogar niederschreiben. Ich höre den Unterschied zwischen der Aussprache von z und c bis heute noch nicht. Ich hoffe nach einem Jahr wird mich niemand mehr bitten, meinen Namen niederzuschreiben. Auch mit den vier verschiedenen Tönen, die es im Mandarin hat, habe ich noch oft Mühe. Sie waren schon das eine oder andere Mal für ein Missverständnis verantwortlich. In Schanghai sprechen die Leute jedoch nicht reines Mandarin sondern sogenannten Schanghai-Dialekt. Für mich tönt es ein bisschen wie japanisch. Man versteht tatsächlich kein Wort. Auf der Strasse hört man die Leute jedoch oft Mandarin (sogenanntes Hochchinesisch) sprechen, denn viele Einwohner sind ursprünglich nicht aus Schanghai. |
Neben den vielen Studenten aus der ganzen Welt (v. a. Koreaner und Japaner) habe ich auch schon einige Chinesen kennen gelernt. Sie sind sehr offen und kommen oft auf einen zu, wenn sie sehen, dass man Ausländer ist. Sei es, um ihr Englisch zu praktizieren, oder auch nur, weil sie neugierig sind, von wo man kommt und was man hier macht. Sie sind dann oft erstaunt, wenn man ihnen auf chinesisch antwortet, und sagen jedes Mal, auch wenn man nur auf chinesisch „Danke“ gesagt hat, wie gut unser Chinesisch sei. Man kann wirklich sehr schnell Leute kennen lernen und wird dann auch oft gerade zum Essen eingeladen. Die Chinesen sind auch sehr hilfsbereit, wenn man nach dem Weg fragt, oder sich sonst nach etwas erkundet. Dafür können die Angestellten in den Geschäfte um so unfreundlicher sein. „Der Kunde ist König“ gilt in China nicht überall. Wenn einem zum Beispiel die Bankkarte am Automat eingezogen wird, dann heisst es einfach schnippisch: „Kommen Sie morgen wieder vorbei.“ Wenn man dann sagt, dass man jetzt aber dringend die Karte braucht, erhält man die Antwort: „Wir können jetzt nichts machen, kommen Sie morgen wieder.“ Auch die Angestellten in den Geschäften können sehr unfreundlich sein. Natürlich sind nicht alle so, aber viele. Alles in allem habe ich mich sehr gut hier in Schanghai eingelebt, und es gefällt mir wirklich ausgezeichnet. Schanghai ist eine riesige Stadt, die sich extrem schnell entwickelt. Kein Wunder findet man manchmal den Laden, der doch eben gestern noch dort war, oder die Touristeninfo, die doch noch auf der Karte im diesjährigen Reiseführer eingezeichnet ist, nicht mehr, da entweder schon etwas neues an diesem Ort verkauft wird, oder das Gebäude bereits abgerissen wurde. Schanghai ist im Vergleich zum Rest von China, insbesondere dem Westen, sehr modern. Man findet hier alle westlichen Marken und Geschäfte (von MC Donalds über Starbucks zu Benetton), doch diese beschränken sich vor allem auf das Zentrum. Sobald man sich etwas ausserhalb befindet, sieht es wieder ganz anders aus. Dann wird Mahjong gespielt, Tee getrunken, Velos geflickt etc. Das Nebeneinander von diesen zwei Welten ist wirklich faszinierend. Ich könnte noch einiges mehr erzählen, von meinen bisherigen Reisen und vielen lustigen Begegnungen, doch dazu fehlt mir leider die Zeit. Ich hoffe trotzdem, dass ich euch auf diesen zwei Seiten einen kurzen Einblick in meinen Alltag hier in Schanghai geben konnte. Liebe Grüsse aus dem Reich der Mitte. Jasmin |
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