Laufbericht zum Standard Chartered Mumbai Marathon vom 18. Januar 2009
von Susanne Egli

 

Die Idee, den Mumbai-Marathon zu laufen, entstand im Sommer 2008.

 

Als mein Bruder im Juni 2008 verkündete, dass er von Hongkong nach Indien (Mumbai) umziehen würde, um dort für Novotel zu arbeiten, war schon bald klar, dass wir ihn Ende Dezember / anfangs Januar 2009 besuchen würden.

Als wir dann noch herausfanden, dass am 18. Januar 2009 der Standard Chartered Mumbai Marathon stattfindet, war die Sache klar: da wollen wir (mein Bruder Heinz, Markus und ich) mitlaufen.

 

Wir meldeten uns sofort per Internet an, mussten allerdings bis Ende August auf die Startzusage warten, sind doch Startplätze beim grössten asiatischen Marathon mit 30'000 Teilnehmern beschränkt und äusserst begehrt.

Was wir zu dem Zeitpunkt nicht wussten, dass am Marathon selber nur gerade etwa 2500 Läufer/innen teilnehmen.

Die restlichen Teilnehmer/innen sieht man am Halbmarathon, am 6 km Dream Run oder beim Rollstuhlrennen. Der grösste Teil davon bestreitet den Dream Run. Diesen laufen die Inder mehrheitlich kostümiert und er gleicht eher einem Fasnachtsumzug. Leider bekamen wir diese Kategorie nur auf den Fotos zu sehen.

 

Ende Oktober bekamen wir dann die Startunterlagen per DHL zugeschickt. Im Umschlag befanden sich Unterlagen mit Acceptance Letter für Markus und mich sowie auch noch solche für einen jungen Inder aus Chenai.

Fängt ja schon gut an! Ob man der Organisation des Marathons trauen kann? Mein Bruder meinte nur: „Wir sind da in Indien und nicht in der Schweiz. Don’t panic!“

Ich schickte die Startunterlagen dem indischen Läufer per Post zu (kostete mich mit 18 CHF wohl mehr, als die Inder für den DHL bezahlt hatten). Zum Vergleich: Startgeld kostete 30 US$.

 

Am 26.11.2008 ein weiterer Schock: das Attentat in Mumbai mit fast 200 Toten und vielen Verletzten. Was passiert nun? Werden wir unsere Reise in Frieden antreten können? Findet der Marathon überhaupt statt?

 

Am 27. Dezember 2008 traten wir unsere Reise auf jeden Fall an und flogen von Zürich nach Delhi. Ich will hier nicht detailliert über unsere 3-wöchige Reise berichten, nur erwähnen, dass wir überhaupt nicht mehr zum Trainieren kamen.

Eigentlich haben wir das ja gewusst und es war uns von Anfang an klar, dass es bei diesem Lauferlebnis nicht um den Rang, sondern ums Mitmachen ging.

Wobei natürlich eine gute Plazierung schon lukrativ gewesen wäre. Lief doch die Erste in meiner Kategorie (Vetrerans) den letztjährigen Marathon in einer Zeit von 4:56 h und gewann den stolzen Batzen von 500 US$.

Nebst ungenügendem Training plagte mich auch noch eine Verletzung von einem Sturz auf dem Glatteis im November.

 

Zwei Tage vor dem Marathon mussten wir an der Marathon-Expo im World Trade Center in Mumbai den Acceptance Letter und ID vorweisen und konnten dort gleichzeitig die Startnummer mit Chip und Goodie Bag abholen. Zu unserem Erstaunen klappte auch hier alles wie am Schnürchen. Der Goodie Bag war voll gefüllt mit kleinen Geschenken wie Schlüsselanhänger, Shampoos, Traubenzucker, Duschmittel und einer „Skin-Whitening-Cream“. Im Gegensatz zu uns Schweizern, tun Asiaten alles, um weissere Haut zu kriegen!

 

Am Vorabend des Marathons kochte mein Bruder Spaghetti für uns. Also wären wir ja eigentlich gut gerüstet gewesen für den Tag X. Dass ich in der Nacht vor dem Lauf nicht schlafen kann, ist ja nichts Neues und einige von euch können mir bestimmt nachfühlen. Dass ich dann aber am Morgen aufstand und erbrechen musste, war auch mir neu. Ich mochte auch keinen Bissen frühstücken. So muss es wohl schwangern Frauen ergehen :), aber bei mir lag es wohl eher an der Nervosität oder an den Voltaren, die ich wegen meiner Verletzung noch zu mir nahm.

Nun gut, dachte ich mir, ich werde dann um so mehr Bananen essen während des Laufes.

 

So fuhr ich also mit leerem Magen zum Startgelände, welches etwa 40 Minuten von der Wohnung meines Bruders entfernt ist. Start und Ziel sind in der Nähe des alten, schönen Hauptbahnhofs von Mumbai, der einmal als Queen Victoria Station bekannt war und nun Chhatrapati Shivaji Terminus heisst. Dieser Bahnhof war übrigens im November auch ein Ziel des Anschlages der Terroristen!

 

Wir waren sehr gespannt, wie das Publikum sein wird, ob die Strassen wirklich leer sind, ob keine Autos fahren, keine Kühe die Strasse überqueren und wo wir laufen würden? Schaffen wir die lange Distanz überhaupt mit so wenig Training? Ob man dem Wasser trauen kann?

Wir werden es bald sehen: es gibt Wasser und Elektrolyte aus verschlossenen 0,25dl-PET-Flaschen. Das war dann aber auch schon alles.

 

Der Start erfolgte pünktlich um 6:45 h morgens. Es war zwar noch etwas dunkel, dafür aber angenehme 18 bis 20 Grad. Die tolle Stimmung liess mich bald vergessen, dass ich eigentlich hungrig war.

Das Publikum am Start winkt, lacht, ruft. “Keep going”, “Looking good”, “Run Mumbai Run”.

Die Strassen sind breit – 3-spurige Autostrassen, wirklich mehr als genug Platz. Fast überall steht Publikum, mal in großen Gruppen, mal in kleinen. Ganze Häuserfassade voller winkender Fans auf ihren Balkons. Eine Rock-Band heizt uns ein, wie auch Cheerleader-ähnliche Mädchengruppen.

 

Was ist das Besondere hier? In der 20-Millionen-Metropole ist es anders als bei üblichen Marathons. Die Leute sind gefesselt, irgendwo zwischen höchstem Respekt, wie vor einem der oberen Kaste oder einem Filmstar und Bewunderung, dass es möglich ist, so weit und so schnell zu laufen. Wir sehen Läufer in Schlappen, einige Barfussläufer, vermutlich aus dem Mangel an passenden Schuhen. Einer hat eine sehr einer Unterhose ähnelnde Short an, andere laufen in Jeans, die meisten jedoch in langen Trainerhosen.

Klar, es ist Winter in Mumbai, trotzdem aber über 30 Grad. Da würde wohl die Skin-Whitening-Cream nicht viel nützen, bei so starker Sonnenbestrahlung!

Viele Frauen sehe ich nicht am Start, Europäerinnen etwa 5. Viele laufen oder marschieren den Halbmarathon in Gruppen mit einheitlichen T-Shirts. Sie nutzen diese als Werbefläche für Politik oder andere Kundgebungen. Marathon-Läufer tragen rote Startnummern, die Halbmarathonis grüne.

 

Das Rennen ist kurzweilig. Etwa bei km 5 kommen die Schnellsten des Halbmarathons entgegen. Sie laufen die gleiche Strecke wie wir, biegen aber bei km 10 wieder stadteinwärts.

Oh, wie ich diese im Moment beneide!

 

Bald schon werden wir von der hochklassigen Elite (mehrheitlich Kenyaner) eingeholt, welche ca. 45 Minuten nach uns gestartet ist. Dies natürlich unter tosendem Applaus der Zuschauer. Bei km 7 ungefähr geht es über die einzige etwa 500 m lange leichte Steigung, für Schweizer Verhältnisse aber keine Sache, auf dem Rückweg geht’s ja dann dafür wieder bergab. Der Rest des Laufes ist flach.

 

Nachdem die Halbmarathonis beim 10km-Turning-Point wieder zurücklaufen, sind nur noch wenige Läufer/innen unterwegs zum Marathon. Aber immer noch viele fröhliche Zuschauer am Strassenrand. Die sind begeistert. Rufen zu: „Keep going Mam“! Viele wollen wissen, woher ich komme. „Thank you for coming to India“, antworten einige!

 

Wir laufen nun dem Meer entlang, es ist eine tolle Strecke. Doch so richtig geniessen kann ich sie nicht. Mein Magen beginnt zu rumpeln. Oh weia, wo ist das nächste Klo? Endlich: bei km 17 ein von mir sehnsüchtig erwartetes Toi Toi Klo. Auch das gibt’s am Mumbai-Marathon. Und nochmals bin ich von der Organisation begeistert. Zwei Toi Toi-Häuschen, je eines für Männlein und Weiblein. Das für die Frauen ist blitzblank sauber mit Papier und Spülung. Es gibt wohl nicht viele Frauen, die das benützen.

 

Danach geht’s mir eigentlich recht gut. Auf der gegenüberliegenden Seite kommt mir bald mein Bruder und kurze Zeit später Markus entgegen. Wir winken einander freudig zu und muntern uns gegenseitig auf. Ich überhole auch bereits solche, die marschieren. Kurz vor dem Wendepunkt nach km 23 muss ich nochmals aufs nächste Toi Toi und ab dann gehöre ich leider auch zu denen, die marschieren. Mich plagt ein Hungerast.

 

Ich trinke viel, versuche meinen Hungerast zu überlisten. Gelingt mir aber nicht. Ich sehne mich nach einer Banane oder sonst etwas Essbarem. Einige, die ich bei km 17 noch überholte, kommen von hinten wieder und holen mich ein. Die meisten aber marschieren auch. Es gibt praktisch bei jedem km Wasser, Elektrolyte und Sanitäter, die einem die schmerzenden Muskeln mit Eisspray besprühen. Aber nichts zu Essen!

 

Bei km 28 überholt mich eine junge Inderin in schwarzer langer Trainerhose. „Come on Mam, you can do it“, meint sie im Vorbeigehen. „Ich kann nicht mehr, ich bin sooooo hungrig“, erkläre ich ihr. Sie entschuldigt sich fast und läuft weiter.

 

Ungefähr 4 km später steht eine indische Mutter und hält mir eine Banane und eine 5dl-PET-Flasche Gatorade entgegen! Das sei für mich, ihre Tochter hätte gesagt, sie solle mir das geben, weil ich Hunger habe!!!

Ich kann meine Freude kaum fassen, bedanke mich tausend Mal und vertilge die Banane, als ob es das grösste Festessen wäre. Der Hunger ist fürs erste gestillt. Aber irgendwie ist die Luft jetzt draussen. In der Zwischenzeit ist es über 30 Grad geworden.

Zeit ist nebensächlich geworden, es marschieren so viele und immer noch klatscht das Publikum am Rand begeistert. Kinder, die sonst wohl in Slums unter der Brücke wohnen, sind alle auf der Strasse. Sie freuen sich, wenn ich an ihnen vorbei gehe und wollen, dass ich ihre Hände im Vorbeigehen streife.

 

Ein paar km weiter liegt ein Inder regungslos am Boden. Er atmet und ich frage ihn, ob ich ihm helfen kann und biete ihm mein Gatorade an. Er verneint, er habe keinen Durst, es sei nur das Herz, das ihm Mühe bereite.

Etwa 10 Minuten später überholt mich der „Herzkranke“ im Eiltempo wieder. Sein Herz scheint sich erholt zu haben.

 

Markus hat inzwischen meinen Bruder eingeholt und die beiden laufen ab km 35 gemeinsam ins Ziel. Auch sie marschieren viel, erreichen das Ziel jedoch in 4:45 h. Im Ziel warten Freunde und Arbeitskollegen von meine Bruder mit einem selbst gemachten Plakat. Ein paar Mitarbeiter sind gekommen, sie haben höchsten Respekt vor ihrem Boss, der so etwas leistet. Einige sind motiviert und wollen auch mit Lauftraining anfangen.

 

Markus, Heinz und unsere Fans müssen leider noch längere Zeit warten, bis ich ins Ziel taumele.

Bei km 40 wollte mich der Besenwagen, resp. Besen-Linien-Bus aufladen. Aber das hätte mein Stolz nicht zugelassen, zumal auch nach mir sicher noch 100 marschierende Läufern folgten.

 

Ob die jedoch die Zeitlimite noch schafften, ist fraglich. Die Zeitmessung wurde nach 6 Stunden abgerissen, die Strassen freigegeben. Ich lief nach 5:55 h ins Ziel. Aus sportlicher Sicht ein Marathon zum Vergessen. Aber vom Erlebnis her ein Lauf, der kaum zu überbieten ist.

 

Heinz, Markus und ich sind uns einig: wir wollen diesen Marathon nächstes Jahr nochmals laufen. Aber dann besser vorbereitet und ich wahrscheinlich mit einer Banane in der Tasche :)

 

Später im Ziel erfahre ich von meiner Schwägerin, die beim Streckenposten bei km 35 (bzw. km 14 des Halbmarathons) mithalf, dass dort Bananen verteilt wurden, dass diese aber schon von den Halbmarathonis genüsslich weggegessen wurden!

 

Der Sieger, Kenneth Mugara aus Kenya lief übrigens in 2:11:51 h ins Ziel.

 

Eine Panne gab’s noch bei der 1. Inderin. Ihre Zeit wurde zwar mittels Chip gestoppt, aber die Organisatoren verpassten sie beim Zieleinlauf. Die Siegerehrung fand bereits statt mit der Zweitplatzierten zuoberst auf dem Treppchen. Erst nachdem sich die Erste wehrte und man ihre Zeit nochmals prüfte, durfte sie ihren Preis entgegen nehmen.
 


 

Viele Läufer nützen den Halbmarathon für Propaganda


 
Slums-Kinder schauen uns bewundernd zu

 
Ab km 10 ist man fast alleine unterwegs auf den 3-spurigen Autostrassen


 

Heinz und Markus laufen gemeinsam ins Ziel und müssen lange warten auf mich
Aber ich gebe nicht auf und komme mit „etwas Verspätung“ auch noch ins Ziel, wo uns Freunde mit einem Plakat überraschen
   

Na, habe ich euch gluschtig gemacht? Dann erfährt ihr mehr unter www.mumbaimarathon.com